„Mehrfach gewichtig“, da war sich das Plenum einig, sei das vorgestellte Buch, in dem jüngst die Tagebucheinträge des Kanzler-Beraters Horst Teltschik aus den Tagen vor der deutschen Einigung veröffentlicht wurden. In der Tat zählt das rund tausendseitige Werk mit 1,8 Kilogramm zu den schwereren Exemplaren im Bücherschrank, von noch größerem Gewicht aber sind seine Inhalte. Denn das Tagebuch Teltschiks, der als engster Mitarbeiter und wichtigster außenpolitischer Berater von Helmut Kohl in alle politischen Entscheidungsfindungen des Kanzlers eingebunden war, bietet nicht nur exklusive Einblicke in den Prozess der deutschen Einigung, sondern ist ein beeindruckendes Quellendokument der Zeitgeschichte. Die Aufzeichnungen beginnen am 9. November 1989 und enden am 3. Oktober 1990. Sie beschreiben den Fall der Mauer und den Zusammenbruch der DDR, beleuchten den Zehn-Punkte-Einigungsplan, erzählen, wie der Westen seinen Frieden mit der Einheit machte, und erklären wie die Kooperation mit Gorbatschow das „Wunder von Moskau“ ermöglichte.

Anna Stößel (VHS Coburg), Horst Teltschik, Dr. Franziska Bartl (Prinz-Albert-Gesellschaft), Prof. Dr. Stefan Schieren (Prinz-Albert-Gesellschaft), Prof. Dr. Michael Gehler (Herausgeber/ Prinz-Albert-Gesellschaft), Gerhild Teltschik
Dass der Weg zu diesen ernsthaften politischen Zäsuren durchaus auch mit viel Humor verbunden sein konnte, wurde während der Vorstellung des Buches deutlich, die am 8. November 2024 als Kooperationsveranstaltung der Prinz-Albert-Gesellschaft mit der Volkshochschule Coburg Stadt und Land im Rathaussaal der Stadt Coburg stattfand. Unter der Moderation von Prof. Dr. Stefan Schieren wurde in den Erinnerungen Horst Teltschiks so manche historische Persönlichkeit wieder zum Leben erweckt.
So berichtete er beispielsweise von den rund 80 Begegnungen Helmut Kohls mit dem französischen Präsidenten Francois Mitterrand, die zu einer echten Freundschaft führten, sodass sich die beiden Staatschefs in Vorbereitung auf ihre Treffen schließlich nicht nur Gedanken um ihre politische Positionen, sondern auch um das passende Geschenk für den jeweils anderen machten. Auch wurde deutlich, dass die britische Premierministerin Margaret Thatcher den Beinamen der „eiserne Lady“ nicht umsonst verliehen bekommen hatte. Bei einem Arbeitstreffen, so erinnerte sich Teltschik, habe diese dem rund 15-minütigen Vortrag des deutsche Kanzlers, der seine Ideen zur deutschen Einheit skizzierte, völlig ruhig und ohne Unterbrechung zugehört – nur, um diesen anschließend ungerührt wissen zu lassen: „Helmut, no, no, no“. Dass Thatcher der deutschen Einheit grundsätzlich kritisch gegenüberstand, hatte seinen Ursprung im persönlichen Erleben des II. Weltkrieges. Als kleines Mädchen hatte die spätere Premierministerin nicht nur die Bombenangriffe der deutschen Luftwaffe auf London erlebt, sondern war auch gemeinsam mit einem jüdischen Kind aufgewachsen, das von seinen Eltern nach England verschickt worden war, um der Verfolgung und Ermordung in Deutschland zu entgehen. Vor diesem Hintergrund fürchtete Thatcher zeitlebens, ein zu großes und zu mächtiges wiedervereinigtes Deutschland könne die diffizile Sicherheitsarchitektur Europas ins Wanken bringen. Diese Sorge, so Teltschik, die auch die deutschen Nachbarn teilten, sei auch ein Grund dafür gewesen, Deutschlands Rolle in der NATO zu stärken. So habe er Gorbatschow während einer Geheimreise nach Moskau, die im Mai 1990 stattgefunden hatte, auf dessen Frage nach dem Verbleib Deutschlands in der NATO geantwortet: „Unsere Nachbarn können leichter mit Deutschland leben, wenn wir gemeinsam in der NATO sind. Es geht dabei nicht um euch, es geht um uns.“
Abschließend wurde nochmals die historische Bedeutung des Buches als Quellendokument hervorgehoben. Es sei für einen Historiker „wie Weihnachten“, so der Herausgeber und „geistige Vater“ der Publikation, Prof. Dr. Michael Gehler, mit einem Mann wie Horst Teltschik zusammenarbeiten zu dürfen. Mit ausführlichen Nachbetrachtungen und gezielten Rückblenden in Interviews sei es möglich geworden, neben der Tagebuch- auch eine Zeitzeugen-Edition vorzulegen. Sie enthält neben weiteren Dokumenten eine Bibliografie und Chronologie sowie Orts-, Sach- und Personenregister.
[Text: Franziska Bartl]
Weitere Informationen:
Horst Teltschik: Die 329 Tage zur deutschen Einigung. Das vollständige Tagebuch mit Nachbetrachtungen, Rückblenden und Ausblicken.
Herausgeber: Michael Gehler
Verkaufspreis: 89,00 €
